Anmerkungen zur Transkription:
Es wurde größte Sorgfalt darauf verwendet den Text originalgetreu zu übertragen.
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Eine Erzählung
von
Ricarda Huch
Im Insel-Verlag zu Leipzig
[Seite 3]
Über Berge, auf denen der Schnee noch nicht geschmolzenwar, ging Lux Bernkule, ein junges verwitwetes Weib,mit ihren zwei Kindern, dem zehnjährigen Brun und derkaum dreijährigen Lisutt, nach dem jenseitigen Orte Klus, derihre Heimat werden sollte. Es lebte dort der Vater ihres verstorbenenMannes, Christoph Bernkule, in hohem Alter alsSchermäuser oder Maulwurfsfänger, welches Amt ihm einnettes Einkommen verschaffte, und bei dessen Ausübung ihndie Schwiegertochter mit ihren Kindern unterstützen sollte.Sein Sohn Henne, ihr Mann, hatte mit seinem Vater vonjeher in Unfrieden gelebt, so daß er ihm Frau und Kinderniemals vorgestellt, die Ursache davon aber niemals hattelaut werden lassen; da nun der Lux die enge Rechtlichkeit undHartköpfigkeit ihres Mannes wohl bekannt waren, bildete siesich ein, daß auch er schuld an dem Zwiespalt getragen habenkönnte, und war wohl geneigt, der Einladung des GreisesFolge zu leisten, teils aus Neugier, teils aus Mitleid mitseinem einsamen Alter, und schließlich weil sie durch einenmächtigen Gönner, der ihr alles Erdenkliche an Schutz undBegünstigung zusicherte, dazu angeregt wurde. Dies war derAbt des Klosters, in dessen Nachbarschaft ihr Mann Forstgehilfegewesen war, Wonnebald Pück, der kürzlich zum Bischofvon Klus ernannt worden war und, heftig verliebt in die anmutreicheFrau, sie eindringlichst ermunterte, gleichfalls dorthinüberzusiedeln, wo sie einzig auf der Welt noch Familienanhanghätte. Einem Ratschlag des alten Bernkule folgend,hatte sie Männerkleidung angelegt und stieg so behende, aberohne sich zu eilen, den alten Saumpfad hinan, der den Fußgängerndiente, mit Hilfe des kleinen Brun einen Karren baldschiebend, bald ziehend, der mit allerlei Kleidern und Hausratbeladen war, und auf dem auch Lisutt, wenn sie müde war,gefahren wurde. An einem hochgelegenen Punkte kreuzte sichder alte, beschwerliche Weg mit der neuen Straße, die für dieEisenbahn gebaut worden war, und es fügte sich, daß die[Seite 4] Wanderer dort mit dem Zuge zusammentrafen, der den neuenBischof seinem Ziele entgegenführte.
Er saß im Speisewagen an einem gedeckten Tischchen underblickte, wie er gerade ein Glas rotgelben Weines an dieLippen setzte, die fahrenden Leute, die vor dem niedrigenStationsgebäude standen, dicht aneinandergedrängt in dembeißenden Höhenwinde, die Kinder ein Stück Brot in den rotgefrorenenHänden. Seine Augen weilten mit Appetit wieauf einer leckeren Schüssel auf Lux, deren ragende Schlankheitin der losen Jacke und kurzen Pumphose sich schöner als sonstsehen ließ; ihre feinen braunen Haare waren abgeschnittenund hingen in weicher Bewegung um ihr helles Gesicht, dasin reizvollem