KOMPENDIUM
DER
PSYCHIATRIE

FÜR

STUDIERENDE UND ÄRZTE

VON

Dr. med. OTTO DORNBLÜTH

NERVENARZT IN FRANKFURT A. M.

ZWEITE VÖLLIG UMGEARBEITETE AUFLAGE

MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN

 

 

LEIPZIG

VERLAG VON VEIT & COMP.

1904

 


Vorwort.

Die Psychiatrie beginnt, die ihr zukommende Stellung inder Ausbildung des Arztes einzunehmen. Der Besuch derpsychiatrischen Klinik ist nunmehr für die Studierenden verbindlichgeworden, und der § 45 der Prüfungsordnung vom 28. Mai 1901bestimmt: »Die Prüfung in der Irrenheilkunde wird von einemExaminator in der Irrenabteilung eines größeren Krankenhausesoder in einer Universitätsklinik abgehalten und ist aneinem Tage zu erledigen. In Gegenwart des Examinators hatder Kandidat einen Geisteskranken zu untersuchen, die Anamnese,Diagnose und Prognose des Falles sowie den Heilplan festzustellen,den Befund sofort in ein vom Examinator gegenzuzeichnendesProtokoll aufzunehmen und hierauf in einer mündlichenPrüfung auch an anderen Kranken nachzuweisen, daßer die für den praktischen Arzt erforderlichen Kenntnisse inder Irrenheilkunde besitzt.«

Nachdem so von den angehenden Ärzten das Studium derPsychiatrie verlangt wird, werden sich auch die Praktikerdieser Aufgabe nicht mehr entziehen können, wenn sie nichtzurückbleiben wollen. Es ist leider nicht zu bestreiten, daßzahlreiche Geisteskranke die Aussicht auf Heilung verlieren,ihre Familie schädigen oder durch Selbstmord enden, weilder befragte Arzt den Zustand unrichtig beurteilte und nichtdie richtigen Mittel vorschlug. Es ist ferner nicht zu verkennen,daß das ärztliche Ansehen manchen Stoß bekommen hat, weilÄrzte vor Gericht oder in der Praxis verkehrte Urteile überkrankhafte oder gesunde Geisteszustände abgegeben haben.Dazu kommt noch, daß ein richtiges Urteil über die zahllosenGrenzzustände und über die so verbreiteten Neurosen mit ihrenpsychischen Eigentümlichkeiten nur durch psychiatrische Vorbildunggewonnen werden kann.

Um die Art Geisteskranker und den ärztlichen Verkehrmit ihnen kennen zu lernen, ist der Besuch der psychiatrischenKlinik unentbehrlich; ein gesichertes Urteil für den einzelnenFall läßt sich aber nur durch das Studium eines systematischenLehrbuches gewinnen. Daß dazu ein kurzes Buch mit knappenund klaren Schilderungen oft besser ist als ein umfangreichesLehrbuch, das die feinsten spezialistischen Beobachtungenwiedergibt, dürfte unbestreitbar sein. In der ausführlichenBehandlung der für die Praxis so wichtigen Grenzzuständesowohl, wie in einer auf die ärztliche Praxis berechneten Darstellungder Therapie sucht unser Buch den Ansprüchen desArztes besonders gerecht zu werden.

Frankfurt a/M., Januar 1904.
Bockenheimer Anlage 2.O. D.

Inhalt.