Christian Morgenstern

Stufen
Eine Entwickelung inAphorismen und Tagebuch-Notizen

[Illustration]

R PIPER & CO VERLAG MÜNCHEN

1922


Zeichnung von Hans Wildermann frei nach einem EntwurfChristian Morgensterns zu Seite 42: Bild meines Lebens.

Stil: Weltliche Periode (Nietzsche) beendet durch innereKrankheit.

Schale: Öffnung durch Johanneisches.

Blut: Erfüllung.


‚Nur wer sich wandelt,
bleibt mit mir verwandt.‘


9Autobiographische Notiz

1913

Ich wurde am 6. Mai 1871 als einziges Kind des LandschaftsmalersCarl Ernst Morgenstern (Sohnes des LandschaftsmalersChristian Morgenstern) und seiner EhefrauCharlotte Schertel (Tochter des LandschaftsmalersJosef Schertel) in München geboren und erlebte inunserm gegen Nymphenburg zu gelegenen — allerKunst und heiteren Geselligkeit geöffneten — Hausemit parkartigem Garten glückliche, eindrucksreicheKindheitsjahre. Meine Eltern reisten viel, zuerst ausLebenslust, dann aus Rücksicht auf ein beginnendesLungenleiden meiner Mutter, und nahmen mich schonvon meinem dritten oder vierten Jahre an überallhinmit. Besonders ist mir eine lange Reise durch Tirol,die Schweiz und das Elsaß in Erinnerung, die imwesentlichen in einer von zwei unermüdlichen Juckerngezogenen Kutsche zurückgelegt wurde. Dazwischenund später waren es dann die (damals noch ländlichen)bayerischen Seedörfer Kochel, Murnau, Seefeld, Herrsching,Weßling und noch später schlesische Dörferam Zobten und im Vorland des Riesengebirges, diedem sehr viel einsamen und stillfrohen Knaben unvergeltbarLiebes erwiesen. Solch freundliches Losward ihm zumal durch die Lebensführung des Vaters,der als freier Landschafter sowohl, wie dann, als eran die Breslauer Kunstschule berufen worden war,Sommer um Sommer ins Land hinauszog; wozu nochkam, daß er ihn, als eifriger Jäger, bisweilen in seinenJagdgebieten und Jagdquartieren mit sich hatte.

Diese Jahre waren grundlegend für ein Verhältnis zurNatur, das ihm später die Möglichkeit gab, zeitweisevöllig in ihr aufzugehen.

10Sie waren aber auch nötig, denn bald nach seinem zehntenJahre, in dem er die Mutter verlor, begann derAnsturm feindlicher Gewalten von außen wie voninnen. Was sich bisher, gehegt und verwöhnt, daheimund im Freien so durchgespielt hatte — mein Spielenbildet für mich ein eigenes sonniges Kapitel — zeigtesich dem äußeren Leben, wie es vor allem in derSchule herantrat, weniger gewachsen. Es war, alswäre das Leidenserbe der Mutter, das doch erst zwölfJahre darauf zu wirklichem Kranksein führte, schondamals übernommen worden; denn wenn auch mancherfrische Aufschwung immer wieder weiter trieb,so setzten doch mehr und mehr jene dumpfen Hemmungenein, die ihn wohl nicht hätten so zu Jahrenkommen lassen, wenn nicht irgend etwas in ihm ebensozähe für ihn gestritten und ihn über das Schlimmsteimmer wieder von neuem hinweggebracht hätte. Vielleichtwar es dieselbe Kraft, die, nachdem sie ihn aufdem physischen Plan verlassen hatte, geistig fortansein Leben begleitete und, was sie ihm leiblich gleichsamnicht hatte geben können, ihm nun aus geistigenWelten heraus mit einer Treue schenkte, die nichtruhte, bis sie ihn nicht nur hoch ins Leben hinein,sondern zugleich

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