Transcriber's Note: Source:Die Entfaltung, Max Krell (Ed.), Ernst Rowohlt Verlag, Berlin, 1921, pp. 21-25.

Else Lasker-Schüler

Wenn mein Herz gesund wär

Kinematographisches

 

Wenn mein Herz gesund wär, spräng ich zuerst aus demFenster; dann ging ich in den Kientopp und käm nie wiederheraus. Es ist mir genau so, als ob ich das große Los gewonnenhab’ und noch nicht ausbezahlt bin, oder auf einerPferdelotterie einen Gaul gewonnen hab’ und keinen Stall„umsonst“ auftreiben kann. Das Leben ist doch eigentlichein Wendeltreppendrama, immer so rund herauf und wiederhinunter, immer um sich selbst wie bei den Sternen. Ichbin in freudiger Verzweiflung, in verzweifelter Freudigkeit;am liebsten machte ich einen Todessprung oder einenJux. Meine Freundin Laurentia zecht wie ein Fuchs, siestudiert die Sprache der alten Herren, ich meine Griechischund Lateinisch, und macht gute Fortschritte. Aber was gehtmich das alles an; ich will nichts wissen, nichts. Wenn esnur nicht klopfen würde!

Das Gehirn wird rein aufgewühlt, es klopft nicht alleinunten jeden Freitag und Sonnabend, jedes Stäubchen wirdaufgewirbelt, es klopft auch an den anderen Wochentagen,denn ich wohne zwischen Haus und Haus und muß dieBrutalität aller Höfe ertragen. Ich sitze immer bei geschlossenenFenstern und werde gar nichts von dem Sommerhaben; ausgehen kann ich nicht, ich schreibe Geistergeschichten;ich habe Schulden. Dabei zieht’s, wenn ich dieTüren rechts und links und hinter mir auflasse. Ich trageseit dieser Wohnung ein Katzenfell; wenn ich abends woeingeladen bin, überkommt mich eine furchtbare Angst, ichkönnte anfangen zu miauen. Ich hab’ gar keine Lust zumLeben mehr, wenn noch die Menschen gerne meine Lyriklesen wollten; wer sie gern liest, der soll mir doch mal einennetten Brief schreiben. Ich muß nämlich wegen meinerKrankheit in Kleesalz baden, damit man nicht über michausrutscht. Ich habe dann immer so eine Langeweile in derBadewanne, und lese gerne schmeichelhafte Briefe an mich.Was einen schlechte Kritiken ärgern! Man hat doch sofortjemand gern, der einem schöne Worte schreibt. Es gibtwirklich sympathische Geschöpfe auf der Welt. Ich kannnur Weißgesichter nicht leiden, ich habe einen Argwohngegen Licht. Darum nehme ich mir auch nur schwarzeMägde und Diener. Ich habe zwei Neger und zwei Indianerinnen;Tecofis Vaterhäuptling kommt manchmal nachBerlin und tritt dort mit seiner Truppe im Chât noir auf.Tecofi fragt mich, wenn sein Vater nach Berlin kommt,ob er bei mir auf dem Balkon wohnen könne. Ich hab’nichts dagegen. Mein Somalineger ist königlicherer Abstammung,sein Vater besitzt bei Teneriffa Hammelherden.Manchmal schickt er mir ein paar abgezogene Hammel, diekommen als Hautgoutragout hier an. Osmann, mein jüngererNeger, sieht aus wie ein sinnender Gorilla im Pflanzenkübel.Böse Spezies, herrlich zu schauen, aber man mußihn in Ruhe lassen; seit kurzem pfeif ich auch nicht mehr,wenn er jemandem den Kopf abbeißen soll, er ist zu schade,zu wertvoll, um zu gehorchen, selbst mir. Meine beiden Indianerinnensind emsige Mädchen, sie sind angestellt vonmir, die Fäden meiner Logik zu suchen, die Logik meinerUnterhaltung zu finden. Manchmal suchen sie die ganzeNacht, ich fürchte, sie werden sich einmal in einem Augenblickan meinem Leitfaden aufhängen. Das muß man inKauf nehmen, dunkle Leute sind schlechte Spürhunde, siekönnen nichts finden in der Nacht ihrer Haut. Halloh, wastät’ ich, wenn mein Herz gesund wär’? Habe ich denn einHerz oder wenigstens sowas Ähnliches? Bei dieser Einlageim Programm muß ich weinen — gut, daß es Nußstangengibt, die trösten, auch die Pfefferminz in Holzschächtelchen.Ich glaube nicht, daß mein Herz aus Fleisch und Blut ist,rissig sind seine Wände; es hat weniger Augenblickswertals Ewig

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