Winke und Rathschläge
für
Gesunde und Kranke
zu einer
einfachen, vernünftigen Lebensweise
und einer
naturgemäßen Heilmethode
von
Sebastian Kneipp,
Pfarrer in Wörishofen (Bayern).
Vierte Auflage.
Kempten.
Verlag der Jos. Kösel'schen Buchhandlung.
1889.
Alle Rechte dem Verfasser vorbehalten.
Wenn ich einen Blick auf das Leben und Treiben derMenschen werfe, so sehe ich, wie die meisten derselbenin dem von Gott ihnen angewiesenen Stande undBerufe angestrengt arbeiten und sich abmühen müssen,um sich und den Ihrigen die nöthigen Mittel zumLebensunterhalte zu verschaffen, wie sie thatsächlichim Schweiße ihres Angesichtes ihr Brod verdienen. Es lehrenmich auch die Ankunft des Menschen auf Erden, seine Wanderunghienieden, sowie sein Weggang aus dieser Welt, daß der Menschseinen unsterblichen Geist in einem zwar wunderbar gebauten,aber sehr gebrechlichen Gefäße trägt. Mannigfaltige Leiden desGeistes und Körpers erschweren dem Menschen die Erfüllungseiner Berufspflichten, und „ein schweres Joch liegt auf denKindern Adams von dem Tage, da sie hervorgehen aus ihrerMutter Schooß, bis zu dem Tage, da sie in die Erde wiederzurückkehren, welche die Mutter Aller ist“.
Daß es so nicht immer gewesen sein kann, lehrt unsschon die Vernunft, da der Mensch durch seinen unsterblichen,willensfreien Geist ein Ebenbild seines allmächtigen, allgütigenund allweisen Schöpfers ist. Durch den Glauben wissen wir,daß die ganze Schöpfung unter dem Fluche der Erbschuldund ihrer Strafe seufzt, und der gerechte Gott verlangt von demMenschen, daß er dieses sein Geschick in Geduld ertrage undauch zum Tode bereit sei, wann und wo Er ihn ruft. Aber Er,der gesagt hat: „Rufe mich an in der Noth, und Ich will dicherretten!“ – Er verlängert auch, durch unser demüthiges BittenIVbewogen, die Tage unserer irdischen Pilgerfahrt und zieht denstrafenden Arm zurück, der schon erhoben war, uns mit derRuthe der Gebrechen und Mühsale zu züchtigen. Doch soll derMensch nicht bloß zu seinem Schöpfer flehen um Gesundheit undlanges Leben, sondern er soll auch seinen Geist gebrauchen, umdie Schätze zu finden und zu heben, welche der allgütige Vaterin die Natur hineingelegt hat als Heilmittel für die vielfachenÜbel dieses Lebens. Auch hier gilt das Sprüchwort: „Hilf dirselbst, dann hilft dir Gott!“
Von jeher hat es Männer gegeben, welche es sich zurLebensaufgabe machten, die Mittel und Wege zu erforschen, wodurchdie mancherlei Krankheiten geheilt werden könnten. Wieviele Bücher existieren, die uns Kunde geben von der Heilkraftmancher Kräuter, von der heilsamen Wirkung mineralischer Stoffe!Andere wieder lehren, wie man dieses oder jenes Übel durchSchneiden, Brennen u. dgl. zu entfernen habe.
Ich selbst wurde schon in meiner Kindheit darauf aufmerksam,wie dieses und jenes Kräutlein von den älteren Leutenaufgesucht und bei mancherlei Leibesgebrechen angewendet wurde.Sie betrachteten die erschaffene Welt mit viel sinnigeren Augen,als Dieses heutzutage geschieht, und dankbar erhoben sie nachErlangung der Gesundheit ihren Blick zum Himmel, von demalle Heilung und Rettung kommt. Diese Kräutlein, welche beiden Alten in so hohem Ansehen standen, sind heute theils verachtet,theils vergessen; nur noch einzelne werden von den einfachstenLeuten als sogenannte Hausmittel gesucht und geb