Die Fünfzig Bücher
Band 16
Der Hahn
von Quakenbrück
und andere Novellen
von
Ricarda Huch
Verlegt bei Ullstein & Co
Berlin 1920
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten
Amerikanisches Copyright 1920 by Ullstein & Co, Berlin
Der Hahn von Quakenbrück | 7 |
Der Sänger | 53 |
Der neue Heilige | 93 |
[9]Im folgenden wird gemeldet, was die Chroniken über denstaatswichtigen Prozeß wegen des eierlegenden Hahnes überlieferthaben, durch welchen eine freie Reichsstadt Quakenbrückim Jahre 1650 ängstlich erschüttert wurde und leichtzu gänzlicher Auflösung gebracht worden wäre.
Es hatte nämlich der Pfarrer an der Heiligengeistkirche,der der Reformation anhing, mehrere Male auf der Kanzelvorgebracht, daß der Hahn des Bürgermeisters, wider Naturund Gebrauch, als wäre er eine Henne, Eier lege, darübergewitzelt wie auch merken lassen, daß dergleichen ohne dieBeihilfe des Teufels oder teuflischer Künste nicht wohl zubewerkstelligen sei. Dies verursachte der Zuhörerschaft desberedten Pfarrers teils Belustigung, teils Grausen, und eswurde in den Bürgerhäusern hin und her darüber geredet,besonders in den Kreisen der zünftigen Handwerker, welchebehaupteten, von Bürgermeister und Ratsherren aus demRegimente verdrängt worden zu sein, an dem sie vielerleiauszusetzen hatten. Allmählich kam es so weit, daß diemüßigen Buben, wenn der Bürgermeister sich auf derStraße blicken ließ, anfingen zu krähen und zu gackern undmit solchen Bezeigungen unehrerbietig hinter ihm herliefen.Auch dem Stadthauptmann, der die Kriegsmacht vonQuakenbrück im Namen des Kaisers befehligte und eine[10]gewaltige Person war, kam etwas davon zu Ohren, undda er mit dem Bürgermeister wie auch vorzüglich mit derBürgermeisterin, Frau Armida, befreundet war, begab ersich selbst in sein Haus, um ihn deswegen zur Rede zustellen. Bevor noch der Bürgermeister nach Gewohnheiteine Kanne Wein auftragen lassen konnte, setzte sich derStadthauptmann auf einen Sessel, schlug auf den Tischund sagte: »Tile Stint« – denn so hieß der Bürgermeister –,»das mit dem Hahn muß aufhören, oder dusollst sehn, daß ich nicht von Pappe bin!«
Tile Stint klopfte dem Stadthauptmann auf den Rücken,als ob er einen Hustenanfall hätte, und sagte begütigend.»Wenn du mir sagst, was es mit dem Hahne auf sichhat, so mag es meinetwegen aufhören, da dir viel daranzu liegen scheint.« »Was,« rief der Stadthauptmann nochlauter als zuvor, »so willst du zu der Schandbarkeit deinerTat noch die Dreistigkeit fügen, sie mir abzuleugnen, dadoch das Gelichter der Gasse ungestraft hinter dir herkräht.« Diese Worte stimmten den Bürgermeister nachdenklich,und er sagte: »Das Krähen der mutwilligen Bubenist mir in der Tat aufgefallen, und es wäre mir lieb, deneigentlichen Grund desselben zu erfahren. Ich dachte schon,es sei ein Symbolum und diene den Reformierten, u