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Das Inhaltsverzeichnis befindet sicham Ende des Buches.
Von
Immanuel Kant.
Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von
C. W. Hufeland.
Leipzig und Wien.
Bibliographisches Institut.
Der Geist allein lebt – Das Leben des Geistes allein istwahres Leben.
Das Leben des Leibes muß jenem immer untergeordnet undvon ihm beherrscht werden, nicht umgekehrt der Geist sich denLaunen, Stimmungen und Trieben des Körpers unterordnen,wenn das wahre Leben erhalten werden soll.
Diese große Wahrheit wurde von jeher von den Weisesten dieserWelt als der Grundpfeiler aller Sittlichkeit, aller Tugend,aller Religion, genug alles dessen, was groß und göttlich ist imMenschen, und sonach auch aller wahren Glückseligkeit, betrachtetund gepredigt.
Sie kann aber nicht oft genug wiederholt werden, da es demnatürlichen Menschen immer näher liegt und bequemer ist, leiblichzu leben als geistig, noch mehr, wenn, wie in den neuestenZeiten geschehen, selbst die Philosophie, sonst die Trägerin desgeistigen Lebens, in dem Identitätssystem den Unterschied zwischenGeist und Körper ganz aufhebt, und sowohl Philosophenals Ärzte die Abhängigkeit des Geistes von dem Körper dergestaltin Schutz nehmen, daß sie selbst alle Verbrechen damit entschuldigen,Unfreiheit der Seele als ihre Quelle darstellen, und es bald dahin gekommen sein wird, daß man gar nichts mehr Verbrechennennen kann.
Aber wohin führt diese Ansicht? – Ist sie nicht geradezu göttlichenund menschlichen Gesetzen entgegen, die ja auf jene Grundlagegebaut sind? – Führt sie nicht zum gröbsten Materialismus?Vernichtet sie nicht alle Moralität, alle Kraft der Tugend,die eben in dem Leben der Idee und ihrer Herrschaft über dasLeibliche besteht? – Und somit alle wahre Freiheit, Selbständigkeit,Selbstbeherrschung, Selbstaufopferung, genug das Höchste,was der Mensch erreichen kann: den Sieg über sich selbst?
Ewig wahr bleibt das Sinnbild, den Menschen als den Reitereines wilden Pferdes sich zu denken; einen vernünftigen Geistmit einem Tiere vereinigt, das ihn tragen und mit der Erde verbinden,aber von ihm nun wiederum geleitet und regiert werdensoll. – Es zeigt die Aufgabe seines ganzen Lebens. Besteht sienicht darin, diese Tierheit in ihm zu bekämpfen und der höherenMacht unterzuordnen? Nur dadurch, daß er sich dies Tier unterwirftund sich möglichst unabhängig davon macht, wird sein Lebenregelmäßig, vernünftig, sittlich und so nur wahrhaft glücklich.Läßt er dem Tier die Oberhand, so geht es mit ihm durch,und er wird ein Spiel seiner Launen und Sprünge – bis zumtödlichen Sturze.
Aber nicht bloß für das höhere geistige Leben und dessen Gesundheitbedarf es dieser physischen Selbstbeherrschung, sondernsie dient ebensosehr zur Erhaltung und Vervollkommnung des physischenLebens und dessen Gesundheit und wird dadurch