Achim von Arnim
Die Majoratsherren
Achim von Arnim
Mit 24 Federzeichnungen
von
Alfred Kubin
Avalun-Verlag · Wien und Leipzig
Alle Rechte vorbehalten
Wir durchblätterten eben einen ältern Kalender,dessen Kupferstiche manche Torheitenseiner Zeit abspiegeln. Liegt siedoch jetzt schon wie eine Fabelwelt hinteruns! Wie reich erfüllt war damalsdie Welt, ehe die allgemeine Revolution,welche von Frankreich den Namenerhielt, alle Formen zusammenstürzte;wie gleichförmig arm ist sie geworden!Jahrhunderte scheinenseit jener Zeit vergangen, undnur mit Mühe erinnern wir uns,daß unsere früheren Jahre ihrzugehörten. Aus der Tiefe dieserSeltsamkeiten, die uns ChodowieckisMeisterhand bewahrt hat, läßt sich die damalige Höhe geistigerKlarheit erraten; diese ermißt sich sogar am leichtesten anden Schattenbildern derer, die ihr im Wege standen, und die sieriesenhaft über die Erde hingezeichnet hat. Welche Gliederung undAbstufung, die sich nicht bloß im Äußern der Gesellschaft zeigte!Jeder einzelne war wieder auch in seinem Ansehn, in seiner Kleidungeine eigene Welt, jeder richtete sich gleichsam für die Ewigkeitauf dieser Erde ein, und wie für alle gesorgt war, so befriedigtenauch Geisterbeschwörer und Geisterseher, geheime Gesellschaftenund geheimnisvolle Abenteurer, Wundärzte und prophetischeKranke die tiefgeheime Sehnsucht des Herzens, aus der verschlossenenBrusthöhle hinausblicken zu können. Beachten wir den Reichtumdieser Erscheinungen, so drängt sich die Vermutung auf, alsob jenes Menschengeschlecht sich zu voreilig einer höheren Weltgenahet habe und, geblendet vom Glanze der halbentschleierten,zur dämmernden Zukunft in frevelnder Selbstvernichtung fortgedrängt,durch die Notdurft an die Gegenwart der Erde gebundenwerden mußte, die aller Kraft bedarf und uns in ruhiger Folgejede Anstrengung belohnt.
Mit wie vielen Jahrhunderten war jene Zeit durch Stiftungen allerArt verbunden, die alle ernst und wichtig gegen jede Änderung geschütztwurden! So stand in der großen Stadt ... das Majoratshausder Herren von ..., obgleich seit dreißig Jahren unbewohnt,doch nach dem Inhalte der Stiftung mit Möbeln und Gerät so vollständigerhalten, zu niemands Gebrauch und zu jedermanns Anschauen,daß es, trotz seiner Altertümlichkeit, noch immer für einebesondere Merkwürdigkeit der Stadt gelten konnte. Da wurde jährlich,der Stiftung gemäß, eine bestimmte Summe zur Vermehrungdes Silbergeschirrs, des Tischzeugs, der Gemälde, kurz zu allemdem verwendet, was in der Einrichtung eines Hauses auf DauerAnspruch machen kann, und vor allem hatte sich ein Reichtum derkostbarsten, ältesten Weine in den Kellern gesammelt. Der Majoratsherrlebte mit seiner Mutter in der Fremde und brauchte beidem übrigen Umfange seiner Einnahme nicht zu vermissen, waser in diesem Hause unbenutzt li