Alle Rechte vorbehalten.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Viktor Hehns litterarische Thätigkeit ist durch seine ungerechteVerbannung nach Tula im Jahre 1851 gewaltsam durchbrochen worden. Erhatte bis dahin unermüdlich gesammelt, und mit wahrhaftbewunderungswürdigem Fleiß nicht nur die lange Reihe seinerReisetagebücher zu stilistischer Vollendung ausgearbeitet, sondern auchin seinen Kollegienheften eine deutsche Litteraturgeschichte entworfen,die überall auf eigene Studien gegründet, die klassische Periode unsrerLitteratur, speziell Schiller und Goethe, soweit es der damalige Standder Wissenschaft erlaubte, erschöpfend behandelte. Schon damals war ihmGoethe der Meister, zu dem er aufschaute und die später in seinenGedanken über Goethe niedergelegten Anschauungen und Urteile lassen sichim Keim bereits in jenen für seine Schüler an der Universität bestimmtenVorlesungen wiederfinden. Nur daß sie in Zweck und Anlage eine andreBehandlung des Problems verlangten und teils zu ausführlichenKommentaren einzelner Werke, und bestimmter zu einem Ganzenzusammengefaßter Dichtungen sich gestalteten, teils einen biographischenCharakter trugen. Daß Hehn in den vier Jahren seiner DorpaterDozentenzeit neben seinen weitgreifenden linguistischen Studien, diedamals auch die esthnische Sprache umfaßten, die Zeit fand, denungeheuren Stoff nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch zubewältigen, wird nur verständlich, wenn man weiß, daß er von jeher daslitterarhistorische Gebiet mit besonderer Liebe gepflegt hat, und inseinen sorgfältig bewahrten Kollektaneen, die bis in den Anfang derdreißiger Jahre zurückreichten, Vorarbeiten besaß, die ihm nunmehr sehrzu statten kamen. Es kann als sicher angenommen werden, daß Hehneinzelne Abschnitte seiner Vorlesungen zu selbständigen Darstellungen zuerweitern gedachte. Ausgeführt hat er den Plan nur mit Hermann undDorothea. Das Manuskript war fertiggestellt, auch die Vorrede bereits[S iv]geschrieben, als seine Verhaftung erfolgte.
Sämtliche Papiere Hehns wurden mit Beschlag belegt und nach Petersburggebracht. Auch nach der »Begnadigung« im Mai 1855 wurden sie ihm nichtwiedererstattet, das geschah erst viel später. Hehn schreibt darüber imDezember 1874 seinem älteren Bruder: »(Meine Papiere) werden endlichgeordnet werden müssen, nachdem sie vor 23 Jahren in den Händen derheiligen Hermandad gewesen sind — die sich in ihrer Liebenswürdigkeitdie besten Stücke ausgewählt und zum Andenken behalten hat. Bisher warich zu weichlich, daran zu rühren; nur daß von meinen DorpaterKollegienheften einzelne Bogen, wahrscheinlich besonders anstößige,fehlen, habe ich konstatiert und mich giftig geärgert.« Zu einervollständigen Ordnung der Papiere ist es nun überhaupt nicht gekommen.Es scheint, daß Hehn jenes von ihm als »weichlich« bezeichnete Gefühl,nicht überwinden konnte. Nur mit den Tagebüchern und den Heften seinerLesefrüchte machte er eine Ausnahme. Die wurden fleißig durchackert, undes läßt sich noch heute an dem Unterschiede der Handschrift verfolgen,wo er für nötig hielt, Korrekturen anzubringen, oder etwa