Anmerkungen zur Transkription:
Der Text stammt aus: Imago. Zeitschrift für Anwendung derPsychoanalyse auf die Geisteswissenschaften VIII (1922). S. 1–22.
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(Vortrag in der Wiener psychoanalytischen Vereinigung.)
Von SIGM. FREUD.
Eine Ankündigung wie die meinige muß in diesen Zeiten, dieso voll sind von Interesse für die sogenannt okkultenPhänomene, ganz bestimmte Erwartungen erwecken. Ich beeilemich also, diesen zu widersprechen. Sie werden aus meinemVortrag nichts über das Rätsel der Telepathie erfahren, nicht einmalAufschluß darüber erhalten, ob ich an die Existenz einer»Telepathie« glaube oder nicht. Ich habe mir hier die sehr bescheideneAufgabe gestellt, das Verhältnis der telepathischen Vorkommnisse,welcher Herkunft immer sie sein mögen, zum Traum, genauer:zu unserer Theorie des Traumes, zu untersuchen. Es istIhnen bekannt, daß man die Beziehung zwischen Traum und Telepathiegemeinhin für eine sehr innige hält; ich werde vor Ihnen dieAnsicht vertreten, daß die beiden wenig miteinander zu tun haben,und daß, wenn die Existenz telepathischer Träume sichergestelltwürde, dies an unserer Auffassung des Traumes nichts zu ändernbrauchte.
Das Material, das dieser Mitteilung zugrunde liegt, ist sehrklein. Ich muß vor allem meinem Bedauern Ausdruck geben, daßich nicht wie damals, als ich die »Traumdeutung« (1900) schrieb,an eigenen Träumen arbeiten konnte. Aber ich habe nie einen »telepathischen«Traum gehabt. Nicht etwa, daß es mir an Träumen gefehlt hätte, welche die Mitteilung enthielten, an einem gewissenentfernten Ort spiele sich ein bestimmtes Ereignis ab, wobei es derAuffassung des Träumers überlassen ist, zu entscheiden, ob dasEreignis eben jetzt eintrete oder zu irgend einer späteren Zeit; auchAhnungen entfernter Vorgänge mitten im Wachleben habe ich oftverspürt, aber alle diese Anzeigen, Vorhersagen und Ahnungen sind,wie wir uns ausdrücken: nicht eingetroffen; es zeigte sich, daß ihnenkeine äußere Realität entsprach, und sie mußten darum als reinsubjektive Erwartungen aufgefaßt werden.
Ich habe z. B. einmal während des Krieges geträumt, daßeiner meiner an der Front befindlichen Söhne gefallen sei. DerTraum sagte dies nicht direkt, aber doch unverkennbar, er drücktees mit den Mitteln der bekannten, zuerst von W. Stekel angegebenenTodessymbolik aus. (Versäumen wir nicht, hier die oft unbequemePflicht literarischer Gewissenhaftigkeit zu erfüllen!) Ich sahden jungen Krieger an einem Landungssteg stehen, an der Grenzevon Land und Wasser; er kam mir sehr bleich vor, ich sprach ihn an,er aber antwortete nicht. Dazu kamen andere nicht mißverständlicheAnspielungen. Er trug nicht militärische Uniform, sondern ein Skifahrerkostüm,wie er es bei seinem schweren Skiunfall mehrereJahre vor dem Krieg getragen hatte. Er stand auf einer schemelartigenErhöhung vor einem Kasten, welche Situation mir die Deutungdes »Fallens« mit Hinsicht auf eine eigene Kindheitserinnerungnahe legen mußte, denn ich selbst war als Kind von wenig mehrals zwei Jahren auf einen solchen Schemel gestiegen, um etwas voneinem Kasten herunterzuholen – wahrscheinlich etwas Gutes –bin dabei umgefallen und habe mir eine Wunde geschlagen, derenSpur ich noch heute zeigen kann. Mein Sohn aber, den jener Traumtotsagte, ist h