Delphine Lettau and the Online Distributed Proofreading Team.
Erster Band
Einleitung von Felix Rosenberg
Pankraz, der Schmoller
Romeo und Julia auf dem Dorfe
Frau Regel Amrain und ihr Jüngster
Die drei gerechten Kammacher
Spiegel, das Kätzchen. Ein Märchen
Seldwyla bedeutet nach der älteren Sprache einen wonnigen und sonnigenOrt, und so ist auch in der Tat die kleine Stadt dieses Namens gelegenirgendwo in der Schweiz. Sie steckt noch in den gleichen altenRingmauern und Türmen, wie vor dreihundert Jahren, und ist also immerdas gleiche Nest; die ursprüngliche tiefe Absicht dieser Anlage wirddurch den Umstand erhärtet, daß die Gründer der Stadt dieselbe einegute halbe Stunde von einem schiffbaren Flusse angepflanzt, zumdeutlichen Zeichen, daß nichts daraus werden solle. Aber schön ist siegelegen mitten in grünen Bergen, die nach der Mittagseite zu offensind, so daß wohl die Sonne herein kann, aber kein rauhes Lüftchen.Deswegen gedeiht auch ein ziemlich guter Wein rings um die alteStadtmauer, während höher hinauf an den Bergen unabsehbare Waldungensich hinziehen, welche das Vermögen der Stadt ausmachen; denn dies istdas Wahrzeichen und sonderbare Schicksal derselben, daß die Gemeindereich ist und die Bürgerschaft arm, und zwar so, daß kein Mensch zuSeldwyla etwas hat und niemand weiß, wovon sie seit Jahrhunderteneigentlich leben. Und sie leben sehr lustig und guter Dinge, haltendie Gemütlichkeit für ihre besondere Kunst und, wenn sie irgendwohinkommen, wo man anderes Holz brennt, so kritisieren sie zuerst diedortige Gemütlichkeit und meinen, ihnen tue es doch niemand zuvor indieser Hantierung.
Der Kern und der Glanz des Volkes besteht aus den jungen Leuten vonetwa zwanzig bis fünf-, sechsunddreißig Jahren, und diese sind es,welche den Ton angeben, die Stange halten und die Herrlichkeit vonSeldwyla darstellen. Denn während dieses Alters üben sie das Geschäft,das Handwerk, den Vorteil oder was sie sonst gelernt haben, d. h. sielassen, solange es geht, fremde Leute für sich arbeiten und benutzenihre Profession zur Betreibung eines trefflichen Schuldenverkehres,der eben die Grundlage der Macht, Herrlichkeit und Gemütlichkeit derHerren von Seldwyla bildet und mit einer ausgezeichnetenGegenseitigkeit und Verständnisinnigkeit gewahrt wird; aberwohlgemerkt, nur unter dieser Aristokratie der Jugend. Denn sowieeiner die Grenze der besagten blühenden Jahre erreicht, wo die Männeranderer Städtlein etwa anfangen, erst recht in sich zu gehen und zuerstarken, so ist er in Seldwyla fertig; er muß fallen lassen und hältsich, wenn er ein ganz gewöhnlicher Seldwyler ist, ferner am Orte auf,als ein Entkräfteter und aus dem Paradies des Kredites Verstoßener,oder wenn noch etwas in ihm steckt, das noch nicht verbraucht ist, sogeht er in fremde Kriegsdienste und lernt dort für einen fremdenTyrannen, was er für sich selbst zu üben verschmäht hat, sicheinzuknöpfen und steif aufrechtzuhalten. Diese kehren als tüchtigeKriegsmänner nach einer Reihe von Jahren zurück und gehören dann zuden besten Exerziermeistern der Schweiz, welche die junge Mannschaftzu erziehen wissen, daß es eine Lust ist. Andere ziehen nochanderwärts auf Abenteuer aus gegen das vierzigste Jahr hin, und in denverschiedensten Weltteilen kann man Seldwyler treffen, die sich alledadurch auszeichnen, daß sie sehr geschickt Fische zu essen verstehen,in Australien, in Kalifornien, in Texas, wie in Paris oderKonstantinopel.
Was aber zur