Franz Marc / Briefe
Franz Marc
Erster Band
1920
Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1920 by Paul Cassirer Berlin
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habe heute die erste Wache abgehalten, mit 18 Posten; es war sehr stimmungsvoll,wunderbar herbstliche Sternennacht. Wie ist das alles anders als dieser langweiligeGarnisondienst! Der schwarze Kaffee in der Feldflasche thut mir jetzt guteDienste. Ich spare ihn so lange als möglich. Die Gegend ist arg von Schlachtenmitgenommen, die Bevölkerung äußerst scheu; ich habe keinen Zweifel, daß sie sehrfranzosenfreundlich ist. Ich möchte hier nicht leben. Gefahren sehe ich aberkeine; es ist offenbar alles sehr eingeschüchtert. Voraussichtliche Richtung Saales;wir warten aber noch auf Befehle. Ich fühle mich so vollkommen wohl, daßmir vor den kommenden Strapazen nicht Angst ist. Zu essen gibt es nur Kommißbrotaus Feldbäckereien. Ich verlange mir auch nichts anderes und sparemeinen eisernen Bestand, den ich noch in München gekauft, auf viel spätere Zeiten;wer weiß, wohin wir noch geschoben werden; ich hoffe immer noch auf Belfortüber Épinal.
Gruß Euch beiden, N’s — — — — —
Ihr Lieben in Ried, heute hab ich meinen ersten großen Melderitt (30 Klm)gemacht; ich bin jetzt glücklich das, was ich wollte, nämlich so etwas wieAdjutant der ganzen Kolonne mit Leutnant * * * zusammen (der Regierungsbaumeisterin W. ist und Sindelsdorf genau kennt!). Wir ritten nach Frankreichhinein bis Remomeix (vor Dié), vor uns eine riesige Feuerlinie von deutscherFußartillerie, die über einen Berg nach Westen schießt, und selbst von französischenBatterien, die hinter dem Berg stehen, beschossen werden. Auf der HeeresstraßeSaales-Dié ein unglaubliches Kriegstreiben; ich fühl mich so wohl dabei,wie wenn ich immer Soldat gewesen wäre; Obst stehlen wir von den Bäumen;Wein haben wir auf unserm Ritt auch bekommen; in Sâles gibt es gar nichts mehr.Wir hatten mit Meldungen an den Brigadestab zu reiten. Jetzt am Nachmittagsitz ich geruhig vor dem Telephonamt (in einem kl. Hotel installiert) am Marktplatzum Befehle aufzunehmen, die ev. kommen. Man ruft mich dazu in’s Amtherein. So kann ich gemächlich ein paar Ruhestunden das originelle Treibenauf dem Marktplatz in Sâles beobachten; „Wallensteins Lager“, aber in echt.Unsre weitere Marschrichtung hängt von den Befehlen ab, die ich hier am Telephonaufzunehmen habe. Wir kochen alles selber, auf dem Acker draußen, auf dem wirbiwakieren.
Schreibt Euch mal vorläufig auf, was Ihr mir später senden müßt u. s. f. — —— — — —
Gestern bin ich zum Befehlholen zum Di