ERNST ROSMER

Madonna

Novellen


Berlin
S. Fischer, Verlag
1894.

Inhalt.

Madonna5
Corriger l'amour27
Platonisch95
In der Mauernstraße  115
Milost pan139

Madonna.

Er war allein mit ihr. Seit zwanzig Jahrenzum ersten Mal. Sie war tot. Er legte den Reisehutauf den alten Lehnstuhl und trat mit gefaltetenHänden an die ungeschmückte Bahre. Das mädchenzarteAngesicht eines stillen tiefen Weibes ruhte aufdem schwarzen Totenkissen. In seinen Augen stieg einaltes unendliches Leid auf. »Wenn Du mich geliebthättest, wie ich Dich!«

Er ging langsam durch das große, von lebendigemSonnenlicht durchflutete Zimmer. Ueber demFlügel hing in schwarzem Ebenholzrahmen die Sixtina.»Fräulein Maria von einem alten Freunde zum Andenken.25. Mai« – stand in der Ecke. Auf dem Flügellag die schwere Partitur seines letzten Werkes. Missasolemnis. Das Agnus Dei war aufgeschlagen. »Sohat sie mich doch nicht vergessen«. Mit wehmutvollerFreude blätterte er die bekannten Seiten durch. DiePartitur mußte viel gespielt worden sein. Verschiedene Druckfehler waren auf kundige Weise ausgebessert. AmRande standen allenthalben musikalische Anmerkungen.Er las sie langsam durch. »Wie richtig! Welch' vornehmeskünstlerisches Gefühl. .... Freilich, hier wäredie Mollterz besser«. Er schrieb sich die Stelle in seinTaschenbuch und schlug die letzte Seite um. Da lagein großes versiegeltes Couvert. In festen klaren Zügenstand sein Name und seine genaue Adresse darauf.»Nach meinem Tode dem Adressaten zu übergeben undnur von ihm zu öffnen«. Sein Eigentum. Seinernstes altes Gesicht war von junger Glut übergossen.Von ihr! Er rückte einen Stuhl an die Bahre undbrach langsam die Siegel auf. Feine weiße Papierbögenmit blauer Seide zusammengeheftet fielen ihmentgegen. Er nahm sie auf. Sie waren ganz mitschmalen festen Schriftzügen bedeckt, die einige Jahrealt sein mochten. Er las: –

»Wenn ich tot bin, sollst Du wissen, wie's gekommenist.

Ich hab' Dich immer lieb gehabt. Als kleinesMädchen schon, da Du mich »Aennchen von Tharau«und »Jetzt geh' ich an's Brünnele« singen lehrtest. Aberich wußte es nicht. Ich fand Dich alt und strengeund gar nicht hübsch. Gleichwohl weinte ich heimlich, wenn Du einen Sonntag nicht kamst. Halb aus unklarerSehnsucht, halb aus sehr klarer Selbstsucht, dennDu brachtest mir stets ein Buch, eine Spielerei, einNaschwerk mit. An meinem fünfzehnten Geburtstagschenktest Du mir die Sixtina und nahmst Abschied.Du wolltest nach Italien. »Werden Sie mir schreiben?«fragtest Du. Ich lachte. »Nein, ich mache zu vieleorthographische Fehler«. »Die werde ich Ihnen korrigieren.Also schreiben Sie mir und wäre es nur, daßSie etwas lernen. Sie haben es nötig, denn Sie sindsehr unwissend«. »Ich will aber nichts lernen. Ich binhübsch und wenn mich einer heiraten will, geht's auchso«. Du sahst mich mit einem ganz strengen bösenBlicke an. »Ich finde Sie gar nicht hübsch«. Und

...

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