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Kampagne in Frankreich
Johann Wolfgang von Goethe
Den 23. August 1792.
Gleich nach meiner Ankunft in Mainz besuchte ich Herrn von Stein denÄlteren, königlich preußischen Kammerherrn und Oberforstmeister, dereine Art Residentenstelle daselbst versah und sich im Hass gegenalles Revolutionäre gewaltsam auszeichnete. Er schilderte mir mitflüchtigen Zügen die bisherigen Fortschritte der verbündeten Heereund versah mich mit einem Auszug des topographischen Atlas vonDeutschland, welchen Jäger zu Frankfurt unter dem Titel"Kriegstheater" veranstaltet.
Mittags bei ihm zur Tafel fand ich mehrere französische Frauenzimmer,die ich mit Aufmerksamkeit zu betrachten Ursache hatte; die eine —man sagte, es sei die Geliebte des Herzogs von Orleans — einestattliche Frau, stolzen Betragens und schon von gewissen Jahren, mitrabenschwarzen Augen, Augenbraunen und Haar; übrigens im Gespräch mitSchicklichkeit freundlich. Eine Tochter, die Mutter jugendlichdarstellend, sprach kein Wort. Desto munterer und reizender zeigtesich die Fürstin Monaco, entschiedene Freundin des Prinzen von Condé,die Zierde von Chantilly in guten Tagen. Anmutiger war nichts zusehen als diese schlanke Blondine: jung, heiter, possenhaft; keinMann, auf den sie's anlegte, hätte sich verwahren können. Ichbeobachtete sie mit freiem Gemüt und wunderte mich, Philinen, die ichhier nicht zu finden glaubte, so frisch und munter ihr Wesen treibendmir abermals begegnen zu sehen. Sie schien weder so gespannt nochaufgeregt als die übrige Gesellschaft, die denn freilich in Hoffnung,Sorgen und Beängstigung lebte. In diesen Tagen waren die Alliiertenin Frankreich eingebrochen. Ob sich Longwy sogleich ergeben, ob eswiderstehen werde, ob auch republikanisch-französische Truppen sichzu den Alliierten gesellen und jedermann, wie es versprochen worden,sich für die gute Sache erklären und die Fortschritte erleichternwerde, das alles schwebte gerade in diesem Augenblick in Zweifel.Kuriere wurden erwartet; die letzten hatten nur das langsameVorschreiten der Armee und die Hindernisse grundloser Wege gemeldet.Der gepresste Wunsch dieser Personen ward nur noch bänglicher, alssie nicht verbergen konnten, dass sie die schnellste Rückkehr insVaterland wünschen mussten, um von den Assignaten, der Erfindungihrer Feinde, Vorteil ziehen, wohlfeiler und bequemer leben zu können.
Sodann verbracht' ich mit Sömmerrings, Huber, Forsters und andernFreunden zwei muntere Abende: hier fühlt' ich mich schon wieder invaterländischer Luft. Meist schon frühere Bekannte, Studiengenossen,in dem benachbarten Frankfurt wie zu Hause — Sömmerrings Gattin wareine Frankfurterin — sämtlich mit meiner Mutter vertraut, ihregenialen Eigenheiten schätzend, manches ihrer glücklichen Wortewiederholend, meine große Ähnlichkeit mit ihr in heiterem Betragenund lebhaften Reden mehr als einmal beteuernd: was gab es da nichtfür Anlässe, Anklänge, in einem natürlichen, angebornen undangewöhnten Vertrauen! Die Freiheit eines wohlwollenden Scherzesauf dem Boden der Wissenschaft und Einsicht verlieh die heitersteStimmung. Von politischen Dingen war die Rede nicht, man fühlte, dassman sich wechselseitig zu schonen habe: denn wenn sie republikanischeGesinnungen nicht ganz verleugneten, so eilte ich offenbar, mit einerArmee zu ziehen, die eben diesen Gesinnungen und ihrer Wirkung einentschiedenes Ende machen sollte.
Zwischen Mainz und Bingen erlebt' ich eine Szene, die mir den Sinndes Tages alsobald weiter aufschloss. Unser leichtes Fuhrwerkerreichte schnell einen vierspännigen, schwer bepackten Wagen; derausgefahrne Hohlweg aufwärts am Berge her nötigte uns, auszusteigen,und da fragten wir denn die ebenfa